Lässt ein Arzt wegen privater Telefongespräche Patienten mit offener Wunde auf dem Operationstisch liegen, verstößt er gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Vor einer Kündigung ist aber in der Regel eine Abmahnung erforderlich, urteilte am Donnerstag, den 25. Oktober 2012, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az.: 2 AZR 495/11).
Damit rettete das BAG einem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses in Rheinland-Pfalz den Job. Der heute 52 jährige Chirurg ist verheiratet und hat zwei Kinder. Laut Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2005 war er ordentlich nicht mehr kündbar.
2008 erfuhr die Krankenhausleitung, dass der Arzt unter anderem mit seiner Frau private Handygespräche führte, während Patienten in Narkose und teils mit offener Operationswunde auf dem OP-Tisch lagen. Nach Zeugenaussagen geschah dies mehrmals täglich für jeweils mehrere Minuten. Das Krankenhaus kündigte fristlos, hilfsweise fristgemäß.
Auf die Klage des Chirurgen hob das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz die Kündigung auf: Eine ordentliche Kündigung sei vertraglich ausgeschlossen, eine fristlose Kündigung im konkreten Fall aber wegen der sozialen Schutzbedürftigkeit des Arztes überzogen (Az.: 3 Sa 474/09).
Dem ist nun das BAG zumindest im Ergebnis gefolgt. Die Kündigung sei unverhältnismäßig. Zwar habe der Arzt gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Der Verstoß sei aber nicht derart massiv, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich geworden sei.
Bei Pflichtverstößen eines Arbeitnehmers sei die Abmahnung als erste Sanktion die Regel, betonten die Erfurter Richter. Eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung sei nur als Ausnahme in besonders schwerwiegenden Fällen zulässig.
Anmerkung:Das Urteil mag auf den ersten Blick für unbeteiligte Dritte ein verständnisloses Kopfschütteln hervorrufen. Allerdings spiegelt das Ergebnis lediglich die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes wieder. Im Rahmen einer Interessenabwägung nimmt das Bundesarbeitsgericht grundsätzlich eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles vor. Hier spielte mit eine Rolle, dass die ordentliche Kündigung des Arztes ausgeschlossen war. Zudem ist es eben grundsätzlich erforderlich, dass vor Ausspruch einer (verhaltensbedingten) Kündigung zunächst eine Abmahnung ausgesprochen wird, um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben sein Fehlverhalten zu korrigieren. Ob allerdings nicht hier - angesichts nachgewiesener Privatgespräche im Operationssaal - auch ein besonders schwerwiegender Fall vorliegen könnte, der dann doch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte, darüber lässt sich sicherlich streiten.